Albanien: Knotenpunkt antiker Handelswege und imperialer Macht
Durch seine Lage an der Grenze zwischen Europa und dem Nahen Osten sowie dem Zugang zum Mittelmeer stand Albanien über Jahrhunderte hinweg oft im Schatten verschiedener Großmächte. Die Position Albaniens war strategisch und entscheidend für die Kontrolle über Handelswege, militärische Operationen und die Expansion von Reichen. So war das heutige Albanien in der Antike die Heimat der Illyrer, eines alten indoeuropäisch sprechenden Volksstammes, der in Teilen des westlichen Balkans lebte. Später gehörte das Gebiet zum Römischen und dann zum Byzantinischen Reich, bis es dann unter osmanische Kontrolle geriet. Überreste dieser Zeit sind in der archäologischen Stätte Butrint zu sehen, die heute UNESCO-Welterbe ist. Die osmanische Herrschaft dauerte ca. 400 Jahre lang, dabei erlebte Albanien eine kulturelle und religiöse Transformation. Während ein großer Teil der Bevölkerung zum Islam konvertierte, bewahrten sich die meisten Albaner ihre Sprache und ihre Bräuche.

Während dieser Zeit kam es zu mehreren Aufständen gegen die Osmanen, von denen der berühmteste durch Skanderbeg angeführt wurde. Skanderbeg wurde im 15. Jahrhundert ein Symbol für den Widerstand gegen die Osmanen und wird bis heute als albanischer Nationalheld verehrt. Statuen, die ihn darstellen, sind in ganz Albanien zu finden. 1912 erklärte Albanien schließlich seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, was das Ende einer langen Fremdherrschaft markierte.
Die verschlossene Nation: Albaniens Isolation unter Enver Hoxha
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Albanien unter die Herrschaft von Enver Hoxha, der das Land in einen strengen, stalinistisch geprägten Kommunismus führte. In den ersten Jahrzehnten erzielte das Regime mehrere soziale Fortschritte in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und Industrialisierung. Dies brachte dem Regime eine gewisse Zustimmung in der Bevölkerung ein. Während Hoxha am Anfang diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion und China pflegte, brach er diese aus ideologischen Differenzen später ab. Dies und die dadurch resultierende extreme Isolation des Landes führten letztlich dazu, dass diese Fortschritte von wirtschaftlichen Krisen und sozialer Repression überschattet wurden. Zu rebellieren war für die meisten undenkbar. Während des Kommunismus war das Land einem System aus Repression, Überwachung und Propaganda unterworfen. Gleichzeitig betrieb Hoxha eine radikale Isolation Albaniens, wodurch die Bevölkerung kaum Zugang zu Informationen aus dem Ausland hatte. Zudem verbreiteten Medien und Bildungssysteme ausschließlich die Ideologie des Regimes, sodass viele Albaner keinen Einblick in alternative politische Ideen hatten. Unter Hoxhas Herrschaft wurden außerdem tausende von Bunkern im ganzen Land gebaut, als Symbol für die Verteidigungsbereitschaft gegen imaginäre Feinde. Die Isolation Albaniens dauerte bis zum Tod von Enver Hoxha 1985.
Ein Land in Trauer: Die Auswirkungen von Hoxhas Tod
Als Enver Hoxha 1985 starb, trauerten viele Albaner öffentlich um ihn und es gab landesweit große Trauer- und Klageszenen. Dies mag auf den ersten Blick überraschend wirken, jedoch kannten viele Menschen, die unter dem Regime aufgewachsen waren, keine andere Realität. Geraldas Verwandte erzählen uns, dass viele Angst hatten, dass Albanien von Feinden okkupiert werden würde. Sie kannten nichts anderes als die Propaganda, die Hoxha als denjenigen darstellte, der Albanien vor äußeren Feinden beschützte und das Land modernisierte. Nach dem Tod Enver Hoxhas öffnete sich die Politik vermehrt für die Außenwelt, bis es schließlich 1991 zum Zusammenbruch des Kommunismus kam. Jene Phase hinterließ Albanien als eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder Europas. Die während des Kommunismus gebauten Bunker sind noch heute in ganz Albanien verteilt zu finden. Inzwischen bunt bemalt, erinnern sie an die graue Zeit des Kommunismus.
Der steinige Pfad zur Demokratie: Albaniens Weg aus der Anarchie
Nach dem Ende des kommunistischen Regimes durchlief Albanien eine politisch turbulente Phase, der Übergang zur Demokratie stellte sich als schwierig dar. Die ersten freien Wahlen fanden 1991 statt, doch das Land blieb politisch instabil, und es kam immer wieder zu Spannungen zwischen alten kommunistischen Strukturen und neuen demokratischen Kräften. Die Verzweiflung im Land war groß, die Sehnsucht nach Freiheit und das Streben nach einem besseren Leben im Ausland nicht aufzuhalten. Ein prägnantes Beispiel für die verzweifelte Lage ist die Entführung des Schiffes Vlora am 07. März 1991. So stürmte an diesem Tag eine Gruppe von etwa 150 Menschen, die das Land verlassen wollten, das Schiff und übernahm die Kontrolle darüber. Circa 10.000 weitere Menschen gingen an Bord und die Crew wurde gezwungen, Kurs auf Italien zu nehmen. 1997 eskalierte die Lage weiter, als viele Menschen ihr Erspartes durch den Zusammenbruch von sogenannten Pyramidensystemen verloren, in die sie investiert hatten. Dies führte zu massiven Protesten, Unruhen und einem beinahe vollständigen Zusammenbruch des Staates. Die Regierung trat zurück und Albanien geriet in Anarchie, bis internationale Interventionen das Land stabilisierten. Laut Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung war bis zum Jahr 2010 knapp die Hälfte der Bevölkerung Albaniens ausgewandert. So leben etwa vier Millionen Albaner dauerhaft im Ausland. Die Bedeutung dieser Zahl wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass Albanien heute nur etwa 2,8 Millionen Einwohner hat (Stand 2022).
Albanien zwischen Aufbruch und Abwanderung
Seit den 2000er Jahren begann sich Albanien zunehmend zu stabilisieren und zu modernisieren. Besonders in den letzten zehn Jahren hat das Land in vielerlei Hinsicht erhebliche Veränderungen durchlaufen. Angetrieben von wirtschaftlichem Wachstum und einem verstärkten Streben nach Integration in die Europäische Union hat Albanien umfassende politische und wirtschaftliche Reformen umgesetzt. Der Tourismussektor erlebte dabei einen beeindruckenden Aufschwung, und Orte wie die albanische Riviera, Ksamil und Berat wurden zu beliebten Reisezielen. Parallel dazu investierte das Land stark in die Infrastruktur, insbesondere in den Ausbau von Straßen, Häfen und Flughäfen, um den gestiegenen Anforderungen des Tourismus und Handels gerecht zu werden.
Herausforderungen eines Landes im Wandel
Trotz dieser beeindruckenden Fortschritte steht Albanien heute vor zahlreichen Herausforderungen, die den Weg zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stabilität weiterhin beeinflussen. Zwar wurden Reformen zur Bekämpfung der Korruption und zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, doch bleibt Korruption im öffentlichen Sektor ein ernstes Problem, das das Vertrauen der Bevölkerung und der Europäischen Union beeinträchtigt. Zusammen mit den oft begrenzten beruflichen Perspektiven führt dies dazu, dass viele junge Albaner das Land verlassen. Während die wirtschaftliche Modernisierung und der wachsende Tourismus neue Arbeitsplätze geschaffen haben, erfordern viele davon jedoch keine qualifizierte Ausbildung.
Der Exodus der Fachkräfte
So waren in den 1990ern und Anfang 2000ern viele der Migranten Arbeiter auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Auswanderung betraf vor allem jüngere Menschen und Familien, die in Ländern wie Griechenland und Italien Arbeit suchten. Im letzten Jahrzehnt hat sich das Bild jedoch gewandelt: Immer mehr ausgebildete junge Menschen entscheiden sich Albanien zu verlassen, um im Ausland bessere berufliche Perspektiven zu finden. Dies führt zu einem signifikanten Verlust an gut ausgebildeten Fachkräften.
Auf unseren Reisen haben wir mit einigen jungen Menschen über die Lebenssituation in Albanien und die Gründe der Migration gesprochen. Aus vielen unterschiedlichen Stimmen und Erfahrungen klang immer wieder die gleiche Botschaft durch: Kaum jemand will das Land wirklich verlassen, doch die meisten müssen es. Die wirtschaftliche Lage und das Fehlen von beruflichen Perspektiven zwingen sie dazu. Die Vorstellung, in Albanien eine Familie zu gründen, scheint für viele nicht realisierbar. Sie sehnen sich nach einem Leben, in dem sie ihren Kindern eine Zukunft bieten können, die Albanien ihnen nicht verspricht. Als weiterer Grund für das Auswandern wird von vielen die Korruption genannt. Viele Menschen haben das Vertrauen in die staatliche Institutionen verloren und haben das Gefühl, dass Erfolg oft von persönlichen Verbindungen abhängt und nicht von Leistung oder Qualifikation. Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit treibt sie dazu, das Land zu verlassen und in Ländern zu arbeiten, in denen Rechtsstaatlichkeit und Meritokratie stärker ausgeprägt sind. Einige können schon etwas Deutsch und erzählen uns, dass es in Albanien inzwischen Organisationen gibt, die gezielt junge Menschen, insbesondere im Gesundheitssektor ausbilden, um sie fürs Ausland zu rekrutieren. Beispielsweise gibt es spezielle Ausbildungsprogramme für Krankenpfleger, welche die Teilnehmer gezielt auf die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes vorbereiten.
Hoffnung und Heimkehr: Albaniens Zukunft liegt in den Händen seiner Rückkehrer und Verbleibenden
Trotz der Schwierigkeiten und Herausforderungen, vor denen Albanien steht, gibt es immer mehr Menschen, die entschlossen sind, das Land von innen heraus zu verändern. Junge Albaner und Albanerinnen, die sich bewusst für ein Leben in ihrer Heimat entscheiden, treiben mit ihrem Einsatz, ihrem Wissen und ihren Ideen die Entwicklung voran. Sie gründen Unternehmen, initiieren soziale Projekte und setzen sich für mehr Gerechtigkeit und Transparenz und gegen Korruption ein.
Auch gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die nach Jahren im Ausland zurückkehren, um ihre Erfahrungen und Fähigkeiten in den Dienst ihres Landes zu stellen. Sie bringen eine internationale Perspektive und neue Impulse mit, die dabei helfen können, Albanien zukunftsfähig zu machen und das Vertrauen in staatliche Institutionen wiederherzustellen. Diese Menschen verkörpern eine Generation, welche die Herausforderungen der Migration gut kennt, eine Generation, die nicht nur für sich selbst, sondern auch für kommende Generationen eine lebendige und vielversprechende Zukunft in Albanien gestalten möchte. Ein inspirierendes Beispiel dafür sind Ediol und Ariola, die nach Jahren in Griechenland in ihre Heimat zurückkehrten und sich der nachhaltigen Landwirtschaft verschrieben haben. Mit ihrem Engagement im Anbau und Verkauf traditioneller Kräuter tragen sie nicht nur zur lokalen Wirtschaft bei, sondern zeigen auch, wie Rückkehrer ihre Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen können, um Veränderungen zu bewirken.
Ihre Hoffnung und ihr Engagement zeigen, dass Albanien trotz aller Schwierigkeiten das Potenzial hat, ein Ort zu sein, an dem Menschen eine Perspektive finden und ihre Träume verwirklichen können. Ihr Einsatz lässt die Vision eines Albanien lebendig werden, das sich Schritt für Schritt zu einem Land entwickelt, in dem Fortschritt, Gerechtigkeit und Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen.